Was sind eigentlich Stolpersteine?
Stolpersteine – so heißt das Projekt des Künstlers Gunter Demnig. Dabei werden im Bürgersteig oder im Boden der Gasse vor dem Haus des letzten frei gewählten Wohnsitzes Vertriebener etwa zehn mal zehn Zentimeter große Pflastersteine verlegt. Ein Stolperstein besitzt eine Messingoberfläche mit den eingravierten Lebensdaten und erinnert so an einen vertriebenen Nachbarn oder eine Nachbarin. Mit den Stolpersteinen werden die Namen der Menschen, die im Nationalsozialismus vertrieben, deportiert, ermordet oder in den Suizid getrieben worden sind, an ihren Ort zurückgebracht, an dem sie wohnten. Einen ersten mit einer Messingplatte versehenen und beschrifteten Stein ließ Gunter Demnig am 16. Dezember 1992, dem 50. Jahrestag des Befehls Heinrich Himmlers zur Deportation der Zigeuner, vor dem Historischen Kölner Rathaus in das Pflaster ein. Mittlerweile ist es das größte dezentrale Mahnmal, d.h. das Gedenken geschieht nicht an einem zentralen Ort, sondern da, wo die Personen zu Hause waren. Es gibt bis jetzt etwa 35.000 Steine in 750 Städten, auch im Ausland.
Der Text auf dem Stein ist kurz gehalten: Hier wohnte... oder Hier lebte.... Es folgen Name, Geburtsjahrgang, häufig das Deportationsjahr und der Todesort.
Kann man über Stolpersteine stolpern?
Über den Stein stolpert man nicht mit den Füßen, weil er niveaugleich verlegt ist, sondern symbolisch, mit den Augen, mit dem Kopf und mit dem Herzen. Die Steine geben einen lebendigen Anstoß zur Erinnerung an (jüdische) Nachbarn. Den Anstoß zu dem Projekt in Rothenburg haben Bürger unserer Stadt an die Arbeitsgruppe Jüdisches Rothenburg gegeben. Der Stadtrat von Rothenburg hat am 29.11.2012 der Verlegung mit breiter Mehrheit zugestimmt. Die Haus- und Grundstückbesitzer haben ihre Zustimmung zur Verlegung gegeben. Einige Hausbesitzer haben nicht zugestimmt. Dort werden vielleicht erst in Zukunft auch Stolpersteine liegen.
Welche Bedeutung haben die Stolpersteine speziell für Rothenburg?
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Manchmal wird gegen die Stolpersteine eingewandt, man würde erneut die Namen mit Füßen treten und entehren. Doch es ist etwas völlig anderes, unabsichtlich auf einen Namen zu treten, als einen Menschen tatsächlich mit Füßen zutreten, wie es geschehen ist. Insgesamt überwiegen die positiven Stimmen zu Gunter Demnigs Stolpersteinen, auch von jüdischer Seite.
Schön an den Stolpersteinen ist:
1. Stolpersteine regen Touristen und Rothenburger zum Gespräch über die Achtung der Menschenrechte und über Rothenburgs Verantwortung als Stadt der Vielfalt an. Das Kunst-Projekt Gunter Demnigs ist sehr bekannt und ist weithin akzeptiert. Es erklärt sich fast von selbst.
2. Stolpersteine zeigen: Wir sind eine Stadt, die sich mit ihrer Geschichte kritisch auseinandersetzt und sie nicht unter den Teppich kehrt!
3. Das Gedenken geschieht im Gespräch der Menschen oder indem jemand innehält und die Inschrift liest und sich dabei tief hinunterbeugt. Die Biografien stehen hier auf der Homepage.
4. Die Namen der Vertriebenen werden aus ihrer Anonymität herausgeholt. Es wird sichtbar, wie die Nachbarn hießen, mit denen man Tür an Tür wohnte.
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Gunter Demnig sagte: Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.
Wann wurden die Stolpersteine verlegt?
Der Künstler verlegte am Freitag, 26. April ab neun Uhr die Stolpersteine mit Hilfe des städtischen Bauhofes von Rothenburg.
Am Abend zuvor, am 25. April 2013 hielt er um 19.30 Uhr einen öffentlichen Vortrag im städtischen Musiksaal.
Etwa 20 Schicksale und Namen wurden u.a. von Schülern des Reichsstadt-Gymnasiums recherchiert und die Eigentümer der Häuser wurden um Erlaubnis gebeten, Steine vor den Häusern in den Gehsteig einzulassen. Zehn Stolpersteine wurden verlegt.
Allgemeine Informationen gibt es im Internet unter http://www.stolpersteine.eu
Dokumentation der Stolpersteine:
Herrngasse 21: Dort war die ehemalige Synagoge:
HIER WOHNTE
IDA WURZINGER
JG. 1872
UNFREIWILLIG VERZOGEN
1938 NÜRNBERG
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 18.5.1944
AUSCHWITZ
Stolperstein-Patin: Susanne Wanke
Ida Wurzinger wurde am 12.Dezember 1872 in Colmberg oder Löhnberg(?) als Tochter des Viehhändlers Hirsch Wurzinger und seiner Frau Hanna Gutmann geboren. Um 1875 zog die Familie nach Rothenburg ob der Tauber in die Klingengasse 10. Ida Wurzinger war alleinstehende Hausfrau und lebte später ebenso wie ihr Bruder Samson Wurzinger in der Klingengasse 21. Am 22.10.1938 wurde sie aus Rothenburg vertrieben. Sie floh nach München und wurde von dort am 11. September 1942 mit dem Transport 525/2/25 nach Theresienstadt deportiert. Nach dem Theresienstädter Gedenkbuch kam sie am 18. Mai 1942 ins Vernichtungslager Auschwitz, wo sie am gleichen Tag im Alter von 71 Jahren ermordet wurde.
HIER WOHNTE
SAMSON WURZINGER
JG. 1868
UNFREIWILLIG VERZOGEN
1938 FÜRTH
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
TOT 16.6.1943
Stolperstein-Pate: Erich Landgraf
Samson Wurzinger wurde am 10. Dezember 1868 in Colmberg (oder Löhnberg?) als Sohn des Viehhändlers Hirsch Wurzinger und dessen Frau Hanna geb. Gutmann geboren. Um 1875 zog die Familie nach Rothenburg ob der Tauber in die Klingengasse 10. Später zog er in die Klingengasse 21, wo er sich um seine kranke Schwester Ida kümmerte. Am 20.10.1908 wurden ihm gegen eine Gebühr von 86 RM die Bürgerrechte verliehen. Am 01.06.1921 erhielt er die Zulassung zum Viehhandel und führte nun zusammen mit seinem Bruder Albert Wurzinger das Geschäft des Vieh- und Pferdehandels. Als er sich 1921 entscheiden musste, ob er mit Pferden oder Vieh handeln wolle, weigerte er sich, eine Entscheidung zu treffen. Nachdem der Rechtsanwalt Dr. Süßheim aus Nürnberg eingeschaltet worden war, gab Samson Wurzinger die Pferdehandelskarte ab, besaß aber noch 9 Pferde, deren Verkauf er sich vorbehalten wollte. Am 17.02.1923 folgt eine Anzeige wegen widerrechtlichen Verkaufs eines Pferdes. Angeblich hatte er den Verkauf für seinen Bruder Sigmund getätigt, der Pferdehändler war. Beide hatten jedoch getrennte Stallungen. Samson wurde nun die Viehhandelskarte für drei Monate entzogen, am 17.03.1923 erhielt er sie jedoch zurück. Neben seinem Hauptberuf Viehhändler war er Synagogendiener. Er war es, der nach der Aufgabe der Synagoge die Schlüssel des Hauses Herrngasse 21 bei der Stadt Rothenburg abgab. Am 22.10.1938 wurde er wie andere jüdische Bürger aus Rothenburg vertrieben und zog nach Fürth in die Theaterstraße 36. Dann floh er nach München. Von dort wurde er am 11.09.1942 mit dem Transport 526/2/25 nach Theresienstadt deportiert wurde. Dort ist er am 16. Juni 1943 im Alter von 75 Jahren gestorben.
HIER WOHNTE
SIGMUND LISSBERGER
JG. 1875
UNFREIWILLIG VERZOGEN
1938 STUTTGART
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
TOT 4.9.1942
Stolperstein-Pate/Patin: Tanzgruppe und Evangelisches Bildungswerk Rothenburg e.V.
Sigmund Lißberger wurde am 21.3.1875 in Creglingen geboren. Er war mit Bella, geb. Gummersheimer, verheiratet. Beide wurden am 22. Oktober 1938 aus Rothenburg vertrieben. Zuletzt wohnten sie in Haigerloch in der Haagstraße 244. Sie wurden am 23. August 1942 mit dem Transport 13/1 von Württemberg in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Er fand den Tod am 4.9.1942 im Konzentrationslager Theresienstadt.
HIER WOHNTE
BELLA LISSBERGER
GEB. GUMMERSHEIMER
JG. 1879
UNFREIWILLIG VERZOGEN
1938 STUTTGART
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
TOT 20.10.1942
Stolperstein-Paten: Familie Kolter
Bella Lißberger, geborene Gummersheimer, wurde am 25.6.1879 in Lehrensteinsfeld geboren. Sie war verheiratet mit Sigmund Lißberger. Beide wurden am 22. Oktober 1938 aus Rothenburg vertrieben. Sie fand den Tod am 20.10.1942 im Konzentrationslager Theresienstadt.
Kirchgasse 1:
HIER WOHNTE
JONAS GOTTLOB
JG. 1853
UNFREIWILLIG VERZOGEN
1938 STUTTGART
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
TOT 31.8.1942
Stolperstein-Paten: Familie Severini
Jonas Gottlob wurde am 6.7.1853 in Dittigheim geboren. Er war Kaufmann von Beruf. Am 24. Mai 1885 heiratete er Theresia Bär aus Crailsheim. In Rothenburg wohnte er seit 1879 bis 1938, bis 1931 in der Unteren Schmiedgasse 26, zuletzt in der Kirchgasse 1. Das Paar hatte zwei Söhne, Moritz (geboren 25.3.1886 in Rothenburg und 1918 im Ersten Weltkrieg gefallen) und Siegfried (geboren 7.11.1887 in Rothenburg). Von 1871-1879 war Jonas Gottlob in die USA ausgewandert und dann wieder nach Rothenburg zurückgekehrt. Nach der Vertreibung wurde er mit der Häftlingsnummer 448 am 22.8.1942 mit dem Transport XIII/1, Zug Da 505 von Stuttgart nach Theresienstadt verschleppt. Im Konzentrationslager Theresienstadt starb er 89-jährig am 31. August 1942.
Judengasse 22:
HIER WOHNTE
ROSA HAMBURGER
GEB. WURZINGER
JG. 1875
UNFREIWILLIG VERZOGEN
1938 NÜRNBERG
VERSTECKT GELEBT
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 2.12.1943
Stolperstein-Pate: Christian Mittermeier
HIER WOHNTE
SIGMUND HAMBURGER
JG. 1864
UNFREIWILLIG VERZOGEN
1938 NÜRNBERG
TOT NOV.1939
Stolperstein-Pate: Verein der Rothenburger Gästeführer e.V.
Rosa und Sigmund Hamburger: In der Judengasse 22 wohnte das Ehepaar Hamburger bis zum 22. Oktober des Jahres 1938. Rosa Hamburger wurde am 14.11.1875 als Rosa Wurzinger geboren und war seit ihrer Hochzeit mit dem Viehhändler Siegfried Hamburger Hausfrau. Das Paar blieb ohne Kinder. Oberhalb des Hauses war früher eine Scheune und hinter dem Haus ein Stall. Nach dem Schächtverbot konnte der Händler noch Vieh nach Archshofen bringen. Die Hamburgers waren sehr arm und konnten sich das Nötigste zum Leben kaum mehr leisten. 1937 mussten sie das Haus verkaufen.
Beide wurden rund zwei Wochen vor den Übergriffen in der Reichspogromnacht aus ihrem Zuhause vertrieben. Bis zum 10.09.1942 fand Frau Hamburger in Nürnberg vor dem ihr drohenden Schicksal Zuflucht. Zwei Jahre konnte sie sich erfolgreich verstecken, bis sie eben an jenem Datum gefasst und anschließend ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert wurde. Dort starb sie am 02.12.1943. Sigmund Hamburger starb etwa ein Jahr nach der Vertreibung aus Rothenburg und wurde am 28.11.1939 in Nürnberg bestattet.
Rosa Hamburger hatte Verwandtschaft in Rothenburg. Die jüdische Familie Wurzinger war in der Klingengasse 10 und in der Herrngasse 21 ansässig und wurde vom gleichen Schicksal ereilt wie das Ehepaars Hamburger. Die Eltern waren Hirsch und Johanna Wurzinger. Ein lebender Nachfahre der Hamburgers ist Arno Hamburger, der in Nürnberg ansässig ist. Er ist erster Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg und der Großneffe von Rosa Hamburger.
Neugasse 34
HIER WOHNTE
HELENE KIRSCHBAUM
GEB. OSTER
JG. 1874
UNFREIWILLIG VERZOGEN
1938 FRANKFURT
DEPORTIERT 1941
KOWNO FORT IX
ERMORDET 25.11.1941
Stolperstein-Pate: Erich Pick
HIER WOHNTE
SIGMUND FRITZ
KIRSCHBAUM
JG. 1902
FLUCHT 1938
HOLLAND
INTERNIERT WESTERBORK
DEPORTIERT 1943
AUSCHWITZ
ERMORDET 1944
Stolperstein-Pate: Verein Alt-Rothenburg e.V.
Helene Kirschbaum, wurde als Helene Oster am 24.3.1874 in Münstermaifeld geboren. Sie heiratete Ignatz Kirschbaum am 8.8.1896. Zuerst wohnten sie im Sülzengässchen 2, dann in der Neugasse 34. Das Paar hatte vier Kinder: Heinrich (geb. 14.5.1897 Rbg); Salomon (=Sally; geb. 4.9.1898 Rbg), Arnold (geb. 20.11.1900 Rbg.) und Fritz Sigmund (geb. 14.8.1902 Rbg, ermordet am 28.1.1944 Auschwitz). Die Söhne Heinrich und Fritz handelten mit Schlachtvieh.
Aus Rothenburg wurde Helene am 22. Oktober 1938 vertrieben. Zuletzt wohnte sie in Frankfurt/Main in der Koselstraße 49. Sie wurde am 22.11.1941 mit dem 3. Transport von Frankfurt in das Ghetto Riga deportiert. Sie starb im Alter von 67 Jahren am 25. November 1941 in Kowno (Kaunas), Fort IX.
Obere Schmiedgasse 15:
HIER WOHNTE
SIEGFRIED STEINBERGER
JG. 1889
UNFREIWILLIG VERZOGEN
1938 WÜRZBURG
DEPORTIERT 1941
RIGA
SCHICKSAL UNBEKANNT
Stolperstein-Pate: Georg Reifferscheid
Siegfried Steinberger wurde am 19.6.1889 in Colmberg geboren. Er war der Sohn von Alexander Steinberger (Handelsmann) und Regina (geb. Liebenstein). Er wohnte in der Oberen Schmiedgasse 15. Er führte mit seinem Bruder die Viehhandlung Gebr. Steinberger. Er wohnte bis 1.10. 1938 in Rothenburg. Dann wurde er nach Würzburg vertrieben und wohnte dort in der Goethestraße 9. und Schmalzmarkt 6. Er wohnte ab April 1941 im Heim Konradstraße 3. Am 27.11.1941 wurde er nach Riga deportiert. Vermisst. Sein Bruder Emil Steinberger wurde am 25.5.1887 geboren. Er ging am 27.10. 1937 nach Colmberg und starb dort am 10.12.1937 im Alter von 50 Jahren. Einer der Steinberger (Emil?) wohnte in der Galgengasse 13.
El ma'ale Rachamim
Gott voller Erbarmen, in den Himmelshöhen thronend,
es sollen finden die verdiente Ruhestätte
unter den Flügeln Deiner Gegenwart,
in den Höhen der Gerechten und Heiligen,
strahlend wie der Glanz des Himmels,
all die Seelen der Sechs Millionen Juden,
Opfer der Shoah in Europa,
ermordet, geschlachtet, verbrannt, umgekommen
in Heiligung Deines Namens;
durch die Hände der deutschen Mörder und
ihrer Helfer aus den weiteren Völkern,
in Auschwitz, Treblinka, Majdanek, Mauthausen und anderen Vernichtungslagern in Europa.
Sieh die gesamte Gemeinde betet für das Aufsteigen ihrer Seelen,
so berge sie doch Du, Herr des Erbarmens,
im Schutze deiner Fittiche in Ewigkeit
und schließe ihre Seelen mit ein in das Band des ewigen Lebens.
G tt sei ihr Erbbesitz,
und im Garten Eden ihre Ruhestätte,
und sie mögen ruhen an ihrer Lagerstätte in Frieden.
Und sie mögen wieder erstehen zu ihrer Bestimmung am Ende der Tage.
Amen.